Bildungsmedien im Wettbewerb zum Thema Nachhaltigkeit

Am 11. Juni 2024 findet in Berlin ein internationaler Kongress statt, in dem im Rahmen eines EU-weiten Projektes der Nachhaltigkeits-Award für Bildungsmedien vergeben wird. Der folgende Text thematisiert die komplexen Zusammenhänge von Bildung und Nachhaltigkeit im Kontext von Medien- und Gesellschaftswandel.

Die Veranstaltung dient dem Diskurs über Kriterien der Qualität von Nachhaltigkeit im mediendidaktischen Kontext. Die vorgestellten und ausgezeichneten Einreichungen sollen allen im Bildungsbereich Tätigen Ideen der Machbarkeit der Thematisierung von Nachhaltigkeit im Rahmen von Erwachsenenbildung liefern.  Anmeldungen dazu werden gerne angenommen.

Verlage, Medienhäuser und Medienproduzenten, die sich im Umfeld von Bildungsmedien engagieren, sind ebenso wie Lehrende und Lernende, die ihre Aufträge und Aufgaben zunehmend über Bildungsmedien einlösen, mit  Phänomen weitgreifender Transformationen konfrontiert: Umbrüche in den Strukturen von Bildung, Medien und Gesellschaft, die, wie man weiß, nicht unabhängig voneinander passieren, sondern durch einen allen gemeinsamen Paradigmenwechsel einerseits, und einen allen gemeinsamen technologischen Wandel andererseits bestimmt sind.

Paradigmenwechsel:

Der Paradigmenwechsel spiegelt ein grundlegendes Umdenken in der sozialen Konstruktion (Kommunikation) des Weltbildes von einer in jedem Fall und in jedwedem Interesse machbaren Welt zu einer, deren Fragilität und Schwächen sich in Krisen abzeichnet: Umwelt, Demokratie, Medien, gesellschaftlicher Zusammenhalt, Bildung, um hier nur die Kernkrisen zu nennen. Für alle diese Bereiche ruft sich ein bislang und weithin vernachlässigter Wert in das kulturelle Gedächtnis der Gesellschaft zurück: Nachhaltigkeit. Ein Wert, dessen prophetischer Hinweis darin liegt zugleich Herausforderung und Chance zu sein. Und dessen kultureller und zivilisatorischer Sinn darin liegt, Werte der Nützlichkeit und der Brauchbarkeit, der Entlastung und Erleichterung mit denen der ethischen Vernunft, denen sozialer Ästhetik und denen des Wissens um die Endlichkeit der (natürlichen, strukturellen, sozialen, individuellen, kulturellen und symbolischen) Ressourcen zu verbinden. Der Mensch versteht sich in diesem Denken als der für Geschichte und Zukunft verantwortliche Faktor der Gegenwart, als die Spezies, die, weil vernunftfähig, das Maß der möglichen Dinge zu messen weiß:  zumindest in all den im Bildungszusammenhang zueinander verfügten Rahmenbegriffen von Welt:  Soziabilität und Individualität, Medien und Kommunikation, Natur und Kultur, Geschichte und Zukunft, Wissen und Weisheit, Anfang und Ende, Jetzt oder Nie.

Technologie:

Eine zweite, das Verständnis von Welt weithin definierende Kategorie ist die der Machbarkeit von Welt. Sie ist, wie Einstein sagt: alles, was der Fall ist. Im Sinne von Technologie, der Logik von Machbarkeit, kann man, weil sie es auch so tut, einen Schritt weitergehen: die Welt, das Bild unserer Welt, ist alles, was wir zum Fall machen, was wir fällig machen – nicht, weil es in allem unbedingt fällig wäre, aber weil wir möglicherweise daran Gefallen finden es fällig zu machen. Wenn es aber nicht mehr wir selbst sind, die wahrnehmen, was fällig wäre, um ein Geschehen von uns aus zur Geschichte zu machen, sondern es der Rechenleistung der Automation oder des Algorithmus einer Software überlassen, ein Ergebnis fällig zu machen, dann stehen wir möglicherweise daneben. Dann verflacht das Bild der Welt, eben die Welt, mit der wir leben, aus Mangel an Intuition und Dialektik, im Muster von Eigenplagiat und Wiederholung. Das kann eine auf sich begrenzte und nur auf seine Effekte zugespitzte und auf Funktionen der Reduktion von Komplexität konzentriert Technologie allemal. Die zunächst letzte Stufe, die wir in fast universellem Sinne dieser Logik erreicht zu haben meinen, ist die der Digitalisierung – in all ihren Ausformungen, zuletzt im Format der AI, ein Muster von Logik, von der, um es hier zurechtrückend auch einzubringen, Noam Chomsky sagt, dass sie im Sinne von dialektischer Vernunft nicht so intelligent sei, wie man sie benennt: sie sei richtiger gekennzeichnet als Plagiatssoftware. Sie denkt nicht vernünftig im Sinne generativer Kreativität, wohl aber konsequent in der möglichen Verknüpfung des schon Gewussten. Aber immerhin: Digitalisierung ist der Wandel der Wirklichkeitsdarstellung von analoger zu digitaler Technologie: Computerisierung, Automation und Digitalisierung machen es möglich analoge Wirklichkeitszusammenhänge inhaltlich, zeitlich und hinsichtlich ihrer Deutung und Relevanz beliebig zueinander zu verbinden oder voneinander zu entflechten. In dem Maße, in dem Technologie entworfen und entwickelt wird, um beschwerliche und komplexe Vorgänge zu beschleunigen oder auch zu erleichtern, in dem Maße wird auch die mit der Handwerklichkeit und Urspünglichkeit der Vorgänge verbundene persönlich-individuelle Verantwortung in technik-logische Abläufe delegiert. Die inhaltlich mögliche Komplexität wird so zu einer „nur“ technisch möglichen oder notwendigen Komplexität, deren Logik aber nicht optional, sondern kausal ist. Das entlastet von möglicherweise kreativ-generativ aufzubringenden Kräften von Unwägbarkeit und Unbestimmtheit, verlangt dann aber das Verständnis der Grammatik der Technik, um in der Spur eben dieser Grammatik technisch mögliche „neue Sätze“ zu bilden.

Werte:

Werte sind keine Kunstfiguren und keine theoretische Erfindungen, sondern Perspektiven der gesellschaftspraktischen Vernunft. Sie haben ihren Sitz im Leben, nicht in der moralischen Abstraktion. Es gibt eine Soziologie, eine gesellschaftspraktische Logik von Werten, die von Freiheit, Gleichberechtigung, Würde Achtung – und eben auch von Nachhaltigkeit. Eine Soziologie der Nachhaltigkeit

Man muss das Thema Werte nicht outsourcen. Werte haben ihren Sitz in dem Umstand, dass die Welt ist, wie wir sie denken, wie wir das Leben denken und wie wir das Denken leben. Wir denken sie gesellschaftlich, weil wir sie so beobachten: empirisch und normativ. Wir wissen, dass wir nichts denken, tun oder sein können, was nicht im Kontext der sozialen, kulturellen und symbolischen Umwelt verankert ist. Weil – im Sinne der cultural studies -Kultur ist, nicht was wir tun oder denken, sondern wie wir etwas tun oder denken, sind Werte im Denken und im Tun (in Theorie und Praxis) eben nicht strukturelle, sondern kulturelle Orientierungspositionen der Nachhaltigkeit (Gültigkeit, Substanz) dessen, wie (mit welcher Vernunft) wir etwas denken, wie (mit welcher Vernunft) wir etwas tun, wie wir etwas gebrauchen.

Es ist der Begriff der Vernunft, mit der man die sozial-gesellschaftliche Perspektive von Werten – hier der Nachhaltigkeit – umschreiben kann: Nachhaltigkeit ist ein Wert gesellschaftlicher Vernunft. Diese ist ihrerseits eine Beschreibungsmetapher für Bildungswerte, deren Sinn sich komponieren lässt aus Größen wie: Wissen, Bewusstsein, Zuständigkeit, Unterscheidung, Verantwortung. Weder die theoretische noch die praktische Sprache reichen aus, um die Welt dessen zu fassen, was theoretisch meinbar und praktisch gemeint ist. Vielleicht aber hilft die Unterscheidung zwischen Wertegeschehen und Wertematerie wenigstens in der theoretischen Beschreibung weiter.

Nachhaltigkeit:

Bei Nachhaltigkeit ist die Wertematerie hermeneutisch zu beschreiben: Substanz, Tiefe, Eigentlichkeit, Wesenscharakter, das Moment der Dauer. Das Wertegeschehen realisiert man durch: aushalten, durchhalten, auf Dauer stellen ohne Schaden zuzufügen oder zu verursachen, achtsam nützen und teilen. Das Wertegeschehen entsteht über Gedächtnis, Bildung, Wissen, Bewusstsein, weil es nicht nur im Muster des technischen oder organisierten Umgangs mit Ressourcen der Natur oder der Kultur erledigt ist, sondern wird erst wirklich im Muster von Einstellung, Habitus (Haltung) im Muster bewusster Gedächtniskultur zwischen Herkunft und Zukunft der natürlichen, kulturellen und symbolischen Ressourcen. Die über die Zeiten und Generationen linear gedachte gerechte Verteilung und Sicherstellung dieser Ressourcen (Zukunftsgedächtnis) kann glaubwürdig nur gelingen, wenn sie auch gegenwärtig sozial-horizontal sichergestellt ist (ethische Vernunft der sozialen Praxis). Das Eine ohne das Andere wäre diskrepant. Daraus ergibt sich – die Realität der Bildungsprogramme kritisch ins Auge gefasst – quer durch die Bildungslandschaften die Notwendigkeit der Umstellung von eingeübten Einstellungen: Bildungsinhalte, Bildungsmethoden, Bildungsmedien.

Bildungsmedien:

Letzteren – den Bildungsmedien kommt im Umfeld des technologischen und bildungspolitischen Wandels eine besondere Rolle zu: die der mediendidaktisch adäquat aufbereiteten Qualität der Vermittlung von Bildungsinhalten mit dem Ziel Bildungsbewusstsein bei Usern so zu stimulieren, dass das vermittelte Wissen bewusstwird und dass User von ihrem Wissen bewusst Gebrauch machen und es in ihr Bild von Welt und Wirklichkeit einbinden. Da es Bewusstsein nicht ohne Wirklichkeit gibt, wie es Wirklichkeit nicht ohne Bewusstsein gibt, ist die Dimension von Wirklichkeit in besonderer Weise bewusst zu machen. Das geschieht aber nicht einfach nur durch den „Einsatz von Medien im Bildungs- oder Unterrichtskontext, sondern es geschieht im Muster des alltäglich eingeübten Mediengebrauchs. Oder, um es noch deutlicher und medientheoretisch richtiger zu formulieren: Medien sind nicht das Tool, mit dem man Lehrende (die ja auch kein Tool sind) ersetzen könnte. Sondern: der Begriff Medien umschreibt (kontextuell wahrgenommen und kulturtheoretisch interpretiert)) den gesamten Zusammenhang von Beobachtung und Handlung, soweit er durch den Gebrauch von Medien (Medientechnologie) bestimmt wird. Bildungsmedien sind daher nicht nur einfach medientypisch aufbereitete Programme oder über Medientechnologie inhaltlich gefasste Zusammenhänge, sondern sind ein von der traditionellen Vermittlung von Wissen (Unterricht, Ausbildung) sich unterscheidendes Muster der Generierung von Wissen: als Wissensverständigung. Und das meint: In Rahmen der Mediengesellschaft ist alles Wissen jedem jederzeit (individuell) zugänglich. Daher liegt der Wert der Originalität von Bildungsmedien nicht in erster Linie in der auch noch so unterhaltsamen Aufbereitung von schon Gewusstem, nicht in der Wiederholung des Vorhandenen, sondern in der besonderen, das Bewusstsein für gesellschaftliche Lebenswerte erhellende Perspektive. Eine solche erledigt sich nicht in der Aufbereitung von strukturellem Wissen (als reine Akkumulation von Wissen), sondern in der Stimulierung von Intuition, Emotion und intrinsischem Interesse an der Substanz, an der Wesentlichkeit, an der Eigentlichkeit, an der Dauerhaftigkeit, Gültigkeit, Resilienz und Zukunftsfähigkeit, an der Verantwortbarkeit dessen, was man zu wissen bekommt. Und eben das kann man in der Nutzung der Charakteristik der „Medien“ – so hoffen und vermuten wir – origineller und kreativer lehren und lernen. Dabei ist natürlich auch der außerhalb von institutionell organisierten Bildungszusammenhängen eingeübte Mediengebrauch mitentscheidend, vor allem seit der in jeder Situation unerlässlichen Nutzung von social media. Bildungsmedien stehen, jenseits aller bildungspolitischen und bildungspraktischen Erwartung auch mit dem individuellen Gehabe der alltäglichen Mediennutzung im Wettbewerb um Bildungswerte.

Mittlerweile – nach längerer Zeit des Sickerns der Begrifflichkeit – wird klar, dass alle Werte, insbesondere aber der Wert der Nachhaltigkeit nicht aus dem gesellschaftlichen Kontext zu lösen ist. Nicht nur weil die in der Organisation der Gesellschaft die diversen Bereiche strukturell voneinander systemisiert sind, aber organisationell und kulturell der eine Bereich ohne den anderen nicht realisierbar ist. Davon sind Systeme und auch diverse Lebenswelten betroffen. Die jeweils gemeinte Wirklichkeit entsteht in der praktischen Kontextualisierung.

Literaturanmerkungen:

Bauer, Thomas A. (2014): Kommunikation wissenschaftlich denken. Perspektiven einer kontextuellen Theorie gesellschaftlicher Verständigung. Wien: Böhlau

Bauer, Tomas A. (2017): Wissensverständigung in der Mediengesellschaft. Theoretische Skizzen zur Mediologie gesellschaftlichen Lernens.. IN: Bauer, Thomas A./ Mikuszeit, Bernd H. (Hrsg.). Frankfurt/M: Peter Lang

Henkel, Anna u.a. (2017): Soziologie der Nachhaltigkeit. Münster: SuN

Thome, Helmut (2019): Werte und Wertebildung aus soziologischer Sicht. IN: Verwiebe, Roland (Hrsg.): Werte und Wertebildung aus interdisziplinärer Perspektive. Wiesbaden: Springer

Welzer, Harald (210): Erinnerungskultur und Zukunftsgedächtnis. IN: Aus Politik und Zeitgeschichte 25-26/: Beilage zur Wochenzeitung „Das Parlament“. 21. 6. 2010